Diese Frage stellt sich wohl jeder, bevor er oder sie ins Hörakustik-Fachgeschäft geht. Theoretisch ist es ja einfach: es gibt klare versicherungstechnische Richtlinien, ab wann von HNO-Seite Hörhilfen verordnet werden.

Aber das reicht uns erfahrungsgemäß überhaupt nicht aus! Warum ist das so?

Viele Menschen tun sich mit der Vorstellung Hörgeräte zu tragen schwer. Sie verbinden damit vielleicht senile Alterszustände, mit denen man sich natürlich nicht gerne identifiziert. Sie wehren sich dagegen und versuchen, es so lange wie möglich ohne technische Hilfe zu schaffen. Das ist im Grunde genommen ein überlebenswichtiger Reflex um das Alter zu meistern. Für die erfolgreiche Hörkorrektur ist dieser Reflex jedoch völlig kontraproduktiv, denn ohne Stimulation verkümmert unser auditives System zunehmend. Es wird im Gegenteil nicht besser, sondern die Ent-wöhnung wird über die Jahre immer stärker. Und dann wird es erst recht „zach“, sich an eine Hörkorrektur zu gewöhnen.

Dieser Widerstand ist also in Punkto Hörgeräte-Tragen völlig sinnlos und macht nur alle narrisch 😊

Ich möchte Sie daher ermutigen, den Benefit von Hörgeräten unverbindlich auszutesten. Sehen Sie es doch als ein Spiel, wo Sie etwas ausprobieren und lernen können, ohne es gleich fix mit nach Hause nehmen zu müssen. Wir alle in der Hörgeräte-Branche setzen auf das sogenannte „Probetragen“, weil wir Sie aus dem oben beschriebenen Widerstand herauslocken müssen (das ist auch mit ein Grund, warum Hörgeräte so teuer, sprich Dienstleistungsintensiv sind… aber das soll hier nur eine Randbemerkung bleiben).

Am besten machen Sie eine Situation aus, in der Sie Ihr Hörverlust wirklich stört. Ist es die große Besprechungsrunde am Arbeitsplatz? Sind es die Enkerl, die Sie kaum verstehen? Ist es der Klang des Streichquartetts, bei dem es Ihnen an Obertonreichtum fehlt? Wird das Klavier in den oberen Lagen plötzlich leiser? Haben Sie ständig Stimmschwierigkeiten, weil sie aufgrund hörbar fehlender Obertöne ständig twangen oder forcieren um mehr Obertöne zu kreieren? Verstehen Sie die Probeanweisungen im Chor nicht mehr? Kriegen Sie den neuesten Tratsch nicht mit?

Was auch immer es ist: sprechen Sie diese echte Problemsituation in der Hörgeräteanpassung and und probieren Sie potenzielle Hörgeräte genau dafür aus!

Wenn Sie jetzt subjektiv keinen Benefit verspüren oder messtechnisch keine Hörverbesserung nachweisbar ist, dann spricht das dafür, dass der richtige Zeitpunkt für eine auditive Verbindung mit der Technik für Sie noch nicht gekommen ist. Und das ist ok so! Niemand zwingt Sie dazu diesen Schritt zu gehen, wenn er für Sie keinen Nutzen bringt! Brechen Sie die Anpassung ab, vereinbaren Sie einen Kontrolltermin in einem oder zwei Jahren und beobachten Sie, ob sich Ihre Hörsituation verändert oder ob sie stabil bleibt.

Vielleicht haben Sie auch Respekt vor der Technik? Vielleicht sind Sie mit dem Computer nie warm geworden und mit dem Wisch-Handy nicht ganz auf Augenhöhe unterwegs? Machen Sie sich doch darum keine Sorgen. Wir alle leben momentan in einem Zeitalter, wo wir ständig mit neuer Technik überfrachtet werden und diese lernen müssen. Wir HörakustikerInnen zeigen Ihnen geduldig und kompetent, welche Technik Sie wie und zu welchem Zweck einsetzen können. Wir sind es gewohnt, dies mit Ihren realen Bedürfnissen abzustimmen. Da sind Sie bei uns in guten Händen!

Mit Hörgeräten muss man einfach umgehen lernen, das ist wie bei jeder neuen Sache. Aller Anfang ist schwer (oder zumindest aufregend)! Wie bei einem untrainierten Muskel wird jetzt auf einmal das auditorische Zentrum im Hirn wieder stimuliert und trainiert. Das kann anfangs sogar ermüdend sein. Oder eben aber auch belebend, wie ich gleich erklären werde. JedeR reagiert hier ein wenig anders und es gibt durchaus verschiedene Phasen.

Im Gegenteil zum Volksglauben führt eine Unterstützung des Hörnervs nämlich zu mehr Lebensfreude! Und was kann uns noch besseres passieren als unser Leben in Frieden und vollen Zügen genießen zu dürfen? Lesen Sie mehr darüber in diesem Artikel, wie das Tragen von Hörgeräten eine Kundin regelrecht aus dem halb-depressiven Dornröschen-Schlaf geweckt hat:

Die Entscheidung für Hörgeräte ist eine sehr individuelle. Manche verspüren einen Benefit, obwohl sie nur einen – medizinisch gesehen – sehr leichten Hörverlust haben, der noch lange nicht zu einer Verordnung für Hörgeräte führt.

Andere haben massive Hörschwierigkeiten und sind der festen Überzeugung, dass „es“ gar nicht so schlimm ist und sie ganz gut damit zurechtkommen. Die Familie sieht das vielleicht anders – aber da gibt es auch noch andere Differenzen… Wie heißt es so schön? Man muss auch nicht alles hören 😊 Das ist natürlich korrekt. Intelligenter aber wäre es doch, wenn Sie selbst ganz eigenständig entscheiden könnten, wann Sie etwas hören wollen (und das dank der Technik dann auch können) und wann nicht. Stimmen Sie mir nicht zu? Mit Hörgeräten wären Sie in dieser Frage ganz einfach autonomer. Ohne Hörgeräte sind Sie manchen Situationen ausgeliefert und können gar nicht anders, als defizitär und defensiv zu reagieren. Diese Haltung ist also sozusagen aus Ihrem Hörverlust heraus entstanden und ist nicht wirklich Ihre rational überlegte, eigenständige Entscheidung.

Wie lautet also die Antwort auf die eingangs gestellte Frage, wann der richtige Zeitpunkt für ein Hörgerät ist? Ich hoffe, Sie können sie nun selbst für sich beantworten 😊

Eine andere Frage ist, wie lange man professionell musizieren kann mit Hörgeräten. Darauf werde ich in einem nächsten Blogartikel eingehen. Bis dahin wünsche ich Ihnen eine gute Zeit und freue mich, dass Sie, liebe Leserin und lieber Leser, bis hierhin mitgekommen sind!